1. Begutachtung der VRUN noch bis zum 27.5.2024
Während andere Branchen im Massenkundengeschäft schon seit Jahrzehnten regelmäßig um die Transparenz, Sachlichkeit und/oder „Überraschungseignung“ ihrer AGB kämpfen, ringt die heimische Energiebranche seit einiger Zeit insbesondere um rechtssichere Möglichkeiten ua ihrer Preisgestaltung mit Verbrauchern.
Mit dem etwas schwerfälligen Akronym VRUN (Verbandsklagen-Richtlinie-Umsetzungs-Novelle) liegt nunmehr (endlich) jener Gesetzvorschlag vor, der die sog Verbandsklagen-Richtlinie (RL 2020/1828 vom 25.11.2020 über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG) umsetzten soll. Österreich ist hier bei der Umsetzung seit längerem säumig, was – ebenso im Kontext einer energierechtlichen Streitigkeit – zuletzt sogar bereits (erstinstanzlich und nicht rechtskräftig) zur Annahme einer direkten Anwendbarkeit der RL geführt hat (LG Klagenfurt 20.3.2024, 77 Cg 49/23m).
Mit dem VRUN als Ministerialentwurf (333/ME XXVII. GP) in Begutachtung geschickt wurde vom Justizministerium nunmehr jedenfalls
- das Bundesgesetz über Qualifizierte Einrichtungen zur kollektiven Rechtsverfolgung (Qualifizierte Einrichtungen Gesetz – QEG) sowie
- Änderungen der Zivilprozessordnung, des Konsumentenschutzgesetzes, des Gerichtsgebührengesetzes und des Rechtsanwaltstarifgesetzes.
Die Begutachtungsfrist läuft noch bis 27.5.2024. Stellungnahmen können bis dahin noch unter https://www.parlament.gv.at/gegenstand/XXVII/ME/333?selectedStage=101 eingereicht und ebendort auch eingesehen werden. Dem Vernehmen nach wird die Einbringung einer Regierungsvorlage sowie eine parlamentarische Beschlussfassung noch vor dem Sommer 2024 angestrebt und sollen die Regelungen mit dem auf die Kundmachung folgenden Tag in Kraft treten.
Nach diesem (nunmehr) ambitionierten Zeitplan könnten hierzulande bereits heuer die ersten (echten) Verbandsklagen eingereicht werden und möglicherweise neue Klagswellen gegen die hier notorisch besonders häufig betroffenen Unternehmen mit Massenkundengeschäft – zuletzt etwa eben auch aus der Energiebranche – lostreten. Grund genug sich rechtzeitig einen Überblick über die neuen Verbandsklagearten und deren mögliche Auswirkungen zu verschaffen:
2. Wer ist hinkünftig klagelegitimiert?
Das Qualifizierte Einrichtungen Gesetz (QEG) regelt insbesondere die Anerkennung, Aufsicht und Befugnisse von Qualifizierten Einrichtungen, die zur Erhebung von (grenzüberschreitenden und innerstaatlichen) Verbandsklagen berechtigt sein sollen. Zuständig für die Anerkennung und Aufsicht soll der Bundeskartellanwalt sein.
Zunächst sollen die schon nach § 29 Abs 1 KSchG berechtigten Verbände auch gesetzlich anerkannte Qualifizierte Einrichtungen zur Geltendmachung von innerstaatlichen Verbandsklagen nach den Vorgaben des QEG sein. Die Wirtschaftskammer Österreich und die Bundesarbeiterkammer sollen darüber hinaus auch für grenzüberschreitende Verbandsklagen aktivlegitimiert sein.
Darüber hinaus soll aber auch jede nach österreichischem Recht errichtete juristische Person auf ihren Antrag vom Bundeskartellanwalt mit Bescheid als Qualifizierte Einrichtung für grenzüberschreitende Verbandsklagen anerkannt werden können, wenn sie:
- vor der Antragstellung bereits 12 Monate zum Schutz von Verbraucherinteressen öffentlich tätig war und sich aus ihrem Satzungszweck ergibt, dass sie ein legitimes Interesse am Schutz von Verbraucherinteressen hat,
- keinen Erwerbszweck verfolgt, unabhängig und nicht insolvent ist sowie nicht unter dem Einfluss von Personen – insbesondere Unternehmern – steht, die ein wirtschaftliches Interesse an der Erhebung einer Verbandsklage haben und sie
- auf geeignete Weise – insbesondere auf ihrer Website – bestimmte Angaben über sich selbst öffentlich zugänglich macht.
Wenn zusätzlich zu diesen Voraussetzungen auch noch gesichert erscheint, dass eine Antragstellerin ihre satzungsmäßigen Aufgaben künftig dauerhaft wirksam und sachgerecht erfüllen wird und sie sich nicht zu mehr als 20 % über unentgeltliche finanzielle Zuwendungen von Unternehmen finanziert, kann diese auch als Qualifizierte Einrichtung für innerstaatliche Verbandsklagen anerkannt werden.
Ausdrücklich zulässig soll im Übrigen die Drittfinanzierung von Verbandsklagen sein, solange der Drittfinanzierer kein Wettbewerber der beklagten Partei oder von dieser wirtschaftlich oder rechtlich abhängig ist. Die Ausgestaltung von Verträgen über eine Drittfinanzierung wird einer privatautonomen Regelung überlassen.
3. Welche Verbandsklagemöglichkeiten stehen zur Verfügung?
Hinkünftig soll es 2 verschiedenen Verbandsklagearten geben. Für beide ist in der VRUN vorgesehen, dass das Handelsgericht Wien in erster Instanz ausschließlich zuständig ist. Eine abweichende Gerichtsstandvereinbarung ist unzulässig.
(a) Verbandsklage auf Unterlassung
Qualifizierte Einrichtungen können gegen (nunmehr sämtliche) Rechtsverletzungen von Unternehmern, welche die kollektiven Interessen von Verbrauchern beeinträchtigen oder zu beeinträchtigen drohen, mit einer Klage auf Unterlassung vorgehen. Die bisherigen, der neuen Verbandsklage (auch etwa in Bezug auf die im QEG vorgesehene Möglichkeit der Urteilsveröffentlichung) in vieler Hinsicht ähnlichen Klagemöglichkeiten nach §§ 28 ff KSchG und § 14 UWG bleiben daneben weiterhin bestehen.
Besonderheiten bzw. Neuerungen ergeben sich hier ua durch eine Hemmung der Verjährungsfrist mit Einleitung der Verbandsklage auf Unterlassung für betroffene Verbraucher für alle mit dem Streitgegenstand der Verbandsklage in Zusammenhang stehenden Ansprüche gegen die beklagte Partei bis zur rechtskräftigen Beendigung des Verbandsklageverfahrens. Danach bleibt Verbrauchern noch eine Frist von 6 Monaten, um diese Ansprüche mit Individualklage oder Beitritt zu einem Verbandsklageverfahren auf Abhilfe gerichtlich geltend zu machen.
(b) Verbandsklage auf Abhilfe
Tatsächlich ein Novum ist die Möglichkeit von Qualifizierten Einrichtungen darüber hinaus auch eine Verbandsklage „auf Abhilfe“ erheben zu können, wenn die Rechtsverletzung eines Unternehmens bereits bei (im Zeitpunkt der Klagserhebung) mindestens 50 konkreten Verbrauchern Ansprüche auf Abhilfe entstehen hat lassen, die im Wesentlichen auf gleichartigen Sachverhalten gründen. Diese Mindestanzahl soll laut den Erläuterungen zum Ministerialentwurf ua dazu dienen, dass Unternehmer nicht durch die Befriedigung einzelner Verbraucher Klagen „torpedieren“ können. Zu beachten ist, dass eine solche Klage zwar grundsätzlich schlüssig sein, aber nur jene Tatsachen und Beweisanbote enthalten muss, die der Qualifizierten Einrichtung mit „zumutbarem Aufwand“ zugänglich sind und die die „Plausibilität“ der Ansprüche ausreichend stützen.
Solche Verbandsverfahren sollen in 3 verschiedene Abschnitte gegliedert werden:
- Im ersten Verfahrensabschnitt soll das Handelsgericht Wien darüber entscheiden, ob die Voraussetzungen eines Verbandsklageverfahrens auf Abhilfe überhaupt vorliegen. Die Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens wird nach Rechtskraft in der Ediktsdatei veröffentlicht.
- In einem (allfälligen) zweiten Verfahrensabschnitt soll das Handelsgericht Wien sodann über Zwischenfeststellungsanträge der Qualifizierten Einrichtung oder der beklagten Partei entscheiden, die der Klärung eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses dienen, von dessen Bestehen oder Nichtbestehen die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil abhängt.
- Erst in einem dritten Verfahrensabschnitt soll das Handelsgericht Wien schließlich über die einzelnen Leistungsbegehren der beteiligten Verbraucher entscheiden.
An der Verbandsklage auf Abhilfe sollen nur diejenigen Verbraucher beteiligt sein, die sich einer Verbandsklage aktiv anschließen (opt-in). Der Beitritt erfolgt zweistufig, indem sich der Verbraucher zunächst an die Qualifizierte Einrichtung wendet. Akzeptiert diese den Beitritt, hat sie durch einen Schriftsatz gegenüber dem Gericht und der beklagten Partei den Beitritt des Verbrauchers anzuzeigen. Ein Beitritt kann bis 3 Monate nach Veröffentlichung der Entscheidung über die Durchführung eines Verbandsklageverfahrens erfolgen und nicht mehr zurückgenommen werden.
4. Auswirkungen in der Praxis
Die bisher (und weiterhin) gemäß § 29 Abs 1 KSchG legitimierten Verbände haben von ihrem Recht, Unterlassungsansprüche gegen die Verwendung von und Berufung auf gesetzwidrige AGB geltend zu machen, je Verband zT (sehr) regen und zT kaum Gebrauch gemacht. Ziel der (zT rigorosen) Klauselprüfungen waren (sehr) häufig das Massenkundengeschäft von zB Banken, Versicherungen, Mobilfunkern, Vermietern, Reiseanbietern aller Art und zuletzt insbesondere vermehrt auch die Energiebranche im Zusammenhang mit ua Preisanpassungen, Vertragsänderungen oder -auflösungen.
Abseits von Verbandsklagen iSd §§ 28 ff KSchG waren legitimierte und nicht „legitimierte“ Verbraucherschutzverbände auch bisher schon darum bemüht (und erfolgreich darin), Abhilfeansprüche von Verbrauchern gerichtlich geltend zu machen. Dies entweder durch das eigens entwickelte Institut der sog „Sammelklage österreichischer Prägung“ (Abtretung von Individualansprüchen) oder – wie zuletzt zunehmend ua gegen Energieversorger – durch die „Unterstützung“ massenhafter, parallel eingeleiteter Individualverfahren. Insbesondere Letzteres hat zuweilen zu einer massiven Anspannung von Gerichtsressourcen (bei geringen Einzelstreitwerten häufig der Bezirksgerichte) geführt.
Durch die neuen Regularien könnten hier aufgrund der stärkeren Bündelung von Verfahren zukünftig allenfalls Effizienzsteigerungen erreicht werden, wobei aber abzuwarten bleibt, ob sich dies nicht durch eine wohl zu erwartende (deutliche) Zunahme von Verfahren – insbesondere auch durch die „Qualifizierung“ neuer Verbraucherschutzverbände – wieder (mehr als) aufwiegen wird. Auch werden Verbraucherschützer wie beklagte Unternehmen aufgrund des völlig neuen Rechtsrahmens wohl zu Beginn zusätzlich noch mit erheblichen Rechtsunsicherheiten zu kämpfen haben. Inwieweit bzw. ob die neuen Verbandsklagearten auch inhaltlich entscheidende Unterschiede zu den schon bisher vorhandenen Rechtsschutzmöglichkeiten bringen werden, bleibt freilich noch abzuwarten.
Da es sich bei dem vorliegenden Gesetzestext noch um einen Ministerialentwurf handelt, ist unsicher, ob die Verbandsklagen-Richtlinie in Österreich auch tatsächlich in der oben dargestellten Form umgesetzt wird. Wir werden Sie aber jedenfalls am Laufenden halten!
Sollten Sie zu diesen Themen oder auch zu anderen Themen im Bereich Energie, Transformation, Klimaschutz und Nachhaltigkeit Fragen oder sonstige Anliegen haben, steht Ihnen das Energy Teamvon KWR jederzeit gerne zur Verfügung.