Die drastische Verbreitung des COVID-19 samt den (österreich- und weltweit) verhängten Maßnahmen führt zu vielen Unsicherheiten und Einschränkungen im täglichen Wirtschafts-, Arbeits- und Privatleben. Der Aufrechterhaltung des Betriebs der öffentlichen Verwaltung und va der Daseinsvorsorge kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Dies lässt sich jedoch nicht ohne weiteres – dh ohne Maßnahmen im Bereich der personellen und technischen Ressourcen wie auch der Infrastruktur – bewerkstelligen. Die betroffene Daseinsvorsorge wird zum großen Teil von öffentlichen Auftraggebern iSd BVergG 2018 sichergestellt. Wie sehen die Rahmenbedingungen für dringliche Beschaffungen aus?
Vergaberechtliche Ausgangskonstellation
Neben den taxativ aufgezählten Ausnahmetatbeständen (insbesondere §§ 9 f BVergG 2018), bei deren Vorliegen das BVergG 2018 gänzlich nicht zur Anwendung kommt, gibt es auch bestimmte Sonderverfahren. Bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen müssen und können kurzfristige, verfahrenstechnisch vereinfachte Beschaffungen durchgeführt werden. Für beide Konstellationen (dh Ausnahmetatbestand und Sonderverfahren) gilt dabei, dass die Beweislast für das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen stets beim jeweiligen öffentlichen Auftraggeber liegt.
Es ist Großteils wohl nicht davon auszugehen, dass akute und dringliche Beschaffungen, welche aufgrund der im Zusammenhang mit der COVID-19 Verbreitung gesetzten Maßnahmen erforderlich werden, unter einen expliziten Ausnahmetatbestand fallen (sofern sie bspw nicht dem unmittelbaren Katastrophenschutz oÄ dienen). Dies bedeutet, dass auch derartige Beschaffungen grundsätzlich dem Regime des BVergG 2018 unterliegen. Jedenfalls wird aber die Wahl von vereinfachten und beschleunigten Verfahrensarten (sofern nicht aufgrund des geschätzten Auftragswerts ohnehin eine Direktvergabe durchgeführt werden kann) in Betracht:
Das „dringliche Verhandlungsverfahren“
Die §§ 35 bis 37 BVergG 2018 normieren die Zulässigkeitsvoraussetzungen (betreffend Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge) für die Wahl von sogenannten Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung. Dabei handelt es sich um Sonderverfahren, welche beschleunigt und mit direkter Einladung bestimmter, ausgewählter Unternehmer zur Angebotslegung durchgeführt werden können.
Im jeweiligen Abs 1 Z 4 der zitierten Bestimmungen werden dabei Voraussetzungen für die Wahl eines derartigen Verhandlungsverfahrens aufgrund Dringlichkeit festgehalten:
„äußerst dringliche, zwingende Gründe, die nicht dem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers zuzuschreiben sind, im Zusammenhang mit Ereignissen, die der öffentliche Auftraggeber nicht voraussehen konnte, es nicht zulassen, die im offenen Verfahren, im nicht offenen Verfahren mit vorheriger Bekanntmachung oder in einem gemäß § 34 durchzuführenden Verhandlungsverfahren vorgeschriebenen Fristen einzuhalten (…)“
Im Ergebnis müssen also fünf Voraussetzungen kumulativ vorliegen:
- Vorliegen dringlicher, zwingender Gründe,
- die nicht dem Verhalten des Auftraggebers zuzuschreiben sind,
- die im Zusammenhang mit Ereignissen stehen, die der Auftraggeber nicht voraussehen konnte,
- die Einhaltung der für die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit Bekanntmachung vorgesehenen Frist unmöglich ist und
- ein Kausalzusammenhang zwischen den dringlichen, zwingenden Gründen und den nicht voraussehbaren Ereignissen besteht.
Bei dringenden Beschaffungsvorhaben, die konkret aus und aufgrund der aktuellen „Corona-Situation“ resultieren, sprechen durchaus gute Gründe dafür, dass obige Voraussetzungen an ein Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung vorliegen. Denkbar wären in diesem Zusammenhang bspw die umfangreiche Lieferung von Desinfektionsmittel oder aber auch die Beschaffung von Webcams, um den Lehrbetrieb an den Universitäten auch ohne physische Präsenz fortsetzen zu können.
Wichtig bleibt jedoch, dass die dringlichen und zwingenden Gründe keinesfalls dem Auftraggeber zuzurechnen sein dürfen. Sollte ein Auftraggeber diese Verfahrensart wählen, so ist eine (wenn auch interne) Prüfung und Dokumentation betreffend das Vorliegen aller Tatbestandsmerkmale zwingend erforderlich. Zu dieser Prüfung und Dokumentation gehört auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den „regulären“ Mindestfristen im BVergG 2018 (Teilkriterium „Unmöglichkeit der für die Durchführung eines Vergabeverfahrens mit Bekanntmachung vorgesehenen Fristen“).
Ablauf des „dringlichen Verhandlungsverfahrens“
Liegen die Voraussetzung für die Wahl dieser Verfahrensart vor (und wurde dies ordnungsgemäß geprüft und dokumentiert) so kommt dem Auftraggeber eine erhebliche Flexibilität bei der Verfahrensabwicklung zu. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Auftraggeber außerhalb jeglicher gesetzlicher Rahmenbedingungen agieren darf.
Wesentlich ist zunächst, dass die vergaberechtlichen Grundsätze (Gleichbehandlung, Nicht-Diskriminierung, etc) auch bei dieser Verfahrensart einzuhalten sind. Ferner gilt gem § 122 Abs 3 BVergG 2018 grundsätzlich die Prämisse, dass bei Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung zumindest drei Unternehmer zur Angebotslegung einzuladen sind (sofern eine entsprechende Anzahl geeigneter Unternehmer überhaupt vorliegt). Diese Mindestanzahl kann jedoch bei Vorliegen äußerst dringlicher, zwingender Gründe unterschritten werden. Auch hier gilt wieder die Vorgabe, diese äußerst dringlichen und zwingenden Gründe im Vorfeld zu prüfen und zu dokumentieren, wobei diese mit jenen dringlichen und zwingenden Gründen, welche überhaupt für die Zulässigkeit dieser Verfahrenswahl vorliegen müssen, gleichzusetzen sind. Vergleicht man die aktuelle Situation mit anderen Krisen der vergangenen Jahre (vgl nur https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=COM:2015:0454:FIN, wo das Thema „Dringliche Verfahren“ ebenfalls aufgegriffen wurde), so wird jetzt eine Dringlichkeit wohl kaum angezweifelt werden können.
Das Verfahren selbst kann dabei vom Auftraggeber – unter Beachtung der vergaberechtlichen Grundsätze – sehr frei gestaltet werden. Die Gewährleistung eines gewissen Grads an Transparenz – gerade bei Einladung mehrerer Unternehmer – ist dabei jedenfalls zu empfehlen. Der Verfahrensabschluss selbst bedarf keiner vorgelagerten Zuschlagsentscheidung samt 10-tägiger Stillhaltefrist (§ 143 Abs 2 Z 2 BVergG 2018). Vielmehr kann der Vertrag unmittelbar abgeschlossen werden.
Fazit
Beschaffungen, welche aufgrund der Corona-Krise umgehend benötigt werden und darüber hinaus dringlich sind, werden wohl in vielen Fällen im Rahmen des „Sonder-Verhandlungsverfahrens“ ohne vorherige Bekanntmachung beauftragt werden können. Dabei ist es jedoch jedenfalls erforderlich, das Vorliegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen im Vorfeld zu prüfen und zu dokumentieren.