Die Klimakleber fühlen sich im Recht. Sie kämpfen aus ihrer subjektiven Sicht für ein Rechtsgut, das alle ihre Aktionen rechtfertigen soll.
Objektiv betrachtet ist der Maßstab des Zulässigen selbstverständlich die geltende Rechtsordnung, die von den dazu demokratisch legitimierten staatlichen Organen normiert wurde und für alle gleichermaßen gilt. Deshalb ist der reguläre – um nicht zu sagen “normale“ - Weg der Durchsetzung gesellschaftspolitischer Anliegen die Suche nach entsprechenden Mehrheiten im Parlament.
Aber bleiben wir bei der derzeitigen Rechtslage: das Demonstrationsrecht ist grundrechtlich abgesichert, und seine Ausübung ist jedenfalls bei vorheriger Anmeldung selbstverständlich zu garantieren. Dies ist verwaltungsrechtlich so vorgesehen, um der Behörde die Chance zu geben, im Einzelfall notwendige Einschränkungen zu verfügen, wenn dies zum Schutz der Grundrechte von Personen notwendig und auch verhältnismäßig ist. Dies könnte beispielsweise dann der Fall sein, wenn es um den Schutz von Fahrtmöglichkeiten für Einsatzfahrzeuge geht.
Gehen wir in unserer Analyse einen Schritt weiter in Richtung Illegalität: wenn Demonstrationen ohne vorhergehende Anmeldung und behördliche Bewilligung abgehalten werden, was für “flash mobs“ und dergleichen typisch ist, dann liegt eine Rechtswidrigkeit vor, die sich im Regelfall auf das Verwaltungsrecht beschränkt und verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden ist. Nur dann, wenn durch unangemeldete Demos oder Klebeaktionen Rechtsgüter beeinträchtigt werden, die durch gerichtlich strafbare Tatbestände geschützt sind, ist das anders. Hier kommen primär Körperverletzungs- und Gefährdungsdelikte in Betracht, beispielsweise bei unangemeldeten Klebeaktionen oder Blockaden vor Krankenhauszufahrten. Dieses strafrechtliche Risiko nimmt man auf sich, wenn man durch unangemeldetes Vorgehen der Behörde die Chance nimmt, auf ihre Verantwortung sicherzustellen, dass es zu keiner Beeinträchtigung strafrechtlich geschützter Rechtsgüter kommt.
Das österreichische Kriminalstrafrecht kennt nur einen Gefährdungstatbestand, der in diesem Zusammenhang von Relevanz ist: § 89 StGB bedroht denjenigen mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen, der vorsätzlich oder grob fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeiführt. Dieser Tatbestand liegt in vielen Fällen, zB bei Autobahnblockaden, durchaus nahe. In Anbetracht des Umfangs möglicher konkreter Gefährdungen durch unangemeldete und daher illegale Blockaden und der vergleichsweise extrem geringen Strafdrohung sind die rechtspolitischen Forderungen nach strengeren Strafen – insbesondere auch im europäischen Vergleich – gut nachvollziehbar.
Gehen wir noch einen Schritt weiter: vorsätzliche Angriffe auf Sachgüter sind als Sachbeschädigung gerichtlich strafbar. Dafür genügt es, dass eine fremde bewegliche Sache “zerstört, beschädigt, verunstaltet oder unbrauchbar gemacht“ wird. Bei Sprayaktionen auf Fassaden oder auch andere Gegenstände ist dieser Tatbestand erfüllt. Aber auch das “Luftauslassen“ aus Reifen, das ein Fahrzeug unbrauchbar macht, fällt darunter, egal, ob es sich dabei um einen SUV in einem Nobelbezirk oder um das Fahrrad eines Grünaktivisten handelt. Das Recht ist ja für alle gleich.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob das Verhalten der Klimakleber unter den Tatbestand der Nötigung (§ 105 StGB) subsumierbar ist. Nach österreichischem Recht setzt eine strafbare Nötigung den Einsatz von Gewalt voraus. Gewalt wird nach der in Österreich herrschenden Meinung als Einsatz nicht unerheblicher physischer Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder erwarteten Widerstandes definiert. Das bedeutet, dass Straßensperren durch Sitzblockaden oder Menschenketten nicht tatbestandsmäßig im Sinne des § 105 StGB sind und eine Strafbarkeit der AktivistInnen, die sich an der Straße festkleben, ausscheidet. Interessant ist hier der Vergleich mit der deutschen Rechtslage, die den Begriff der Gewalt deutlich weiter fasst. Die Rechtsprechung der deutschen Gerichte versteht Gewalt im Sinne der sogenannten „Vergeistigungstheorie“ als jedes Mittel, mit dem auf den Willen oder das Verhalten eines anderen durch ein gegenwärtiges empfindliches Übel eine Zwangswirkung ausgeübt wird. Aufgrund dieser „Vergeistigung“ des Gewaltbegriffs werden durch den deutschen Tatbestand der Nötigung, anders als in Österreich, auch Sitzstreiks von KlimaaktivistInnen erfasst.
So gesehen ermöglicht gerade das gerichtliche Strafrecht eine klare Grenzziehung zwischen legal und illegal.
Bleibt noch zu erwähnen, dass die allgemein anerkannten Grundsätze des “zivilen Ungehorsams“ bis zu einem gewissen Grad eine Legitimationsgrundlage für formal illegales Handeln bieten können. Die Diskussion darüber, wie weit dieser Rechtfertigungsgrund tatsächlich reichen kann, wurde in Österreich vor allem durch die Auseinandersetzungen um das Kraftwerk Hainburg in den 80er-Jahres befeuert, konnte aber naturgemäß nicht zu wirklich klaren Ergebnissen führen. Wer sich darauf beruft, handelt nach wie vor auf eigenes Risiko, zumal die ersten Ansätze zu einer stärkeren Beachtung des Klimaschutzes in der höchstgerichtlichen Literatur zwar durchaus vorhanden sind, aber auf absehbare Zeit wohl zu keinen wirklich tragfähigen Ergebnissen führen werden, die eine effektive Erweiterung der Rechtfertigungsgründe bei Berufung auf den Klimaschutz gewährleisten könnten. In diesem Zusammenhang ist vor allem der Klimabeschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichts vom 24.3.2021 zu nennen.
Bleibt als Fazit festzuhalten, dass man bei der Beurteilung solcher Phänomene wie den Aktionen von Überzeugungstätern wie den Klimaschützern genauer danach differenzieren sollte, welche Rechtsgüter dadurch beeinträchtigt werden und inwieweit diese verwaltungsstrafrechtlich oder durch Kriminaltatbestände geschützt sind. Im letzten Fall ist eine absolute Grenze erreicht, die nur der demokratisch legitimierte Gesetzgeber verschieben könnte.
Für Fragen steht Ihnen das KWR Wirtschaftsstrafrechtsteam gerne zur Verfügung.