KWR Energy Law News Nr. 2

„Überraschende“ Preiserhöhungen bei Energielieferverträgen

Dass aktuell die Marktpreise für Strom und Gas in die Höhe schießen und Energielieferanten versuchen, diese Erhöhungen durch entsprechend gestaltete AGB auch an ihre Kund:innen weiterzugeben, wird mittlerweile wohl niemanden mehr „faktisch“ überraschen. „Rechtlich“ betrachtet, sieht die Sache dann aber unter Umständen etwas anders aus:

1. Die Wiederentdeckung der Geltungskontrolle (§ 864a ABGB)

Die Judikatur des OGH nimmt im Rahmen der Klauselkontrolle in Verbandsprozessen (§ 28 KSchG) neben der Inhaltskontrolle des § 879 Abs 3 ABGB und § 6 Abs 3 KSchG (Transparenzgebot) nun wieder vermehrt auf die Geltungskontrolle des § 864a ABGB Bezug (siehe dazu schon OGH 5 Ob 103/21i ecolex 2022/71, 124 (Th. Rabl); jüngst OGH 9 Ob 46/21m ZaK 2022/199, 117).

Bekanntermaßen werden nach § 864a ABGB(i) Bestimmungen ungewöhnlichen Inhaltes in AGB oder Vertragsformblättern, die ein Vertragsteil verwendet hat, nicht Vertragsbestandteil, wenn sie (ii) dem anderen Teil nachteilig sind und dieser (iii) mit ihnen auch nach den Umständen, vor allem nach dem äußeren Erscheinungsbild der Urkunden, nicht zu rechnen brauchte. Eine solche „Überraschung“ kann aber hintangehalten werden, wenn der eine Vertragsteil den anderen besonders darauf hingewiesen hat. § 864a ABGB gilt freilich nicht nur im Bereich der Konsumentengeschäfte, sondern auch zwischen Unternehmern.

2. Von 3 Ob 139/19s über 5 Ob 103/21i zu 9 Ob 46/21m

Die jüngste Entscheidung des OGH, die die Reihe einschlägiger Rechtsprechung gegen AGB von Energielieferanten fortsetzt (den Beginn setzte OGH 3 Ob 139/19s VbR 2019/134, 216 [Gelbmann]), ist höchst brisant.

Während noch in OGH 5 Ob 103/21i nicht wirklich klar war, warum dort von einer Überraschung gesprochen werden konnte, wird die Sache – unter Heranziehung der Vorjudikatur zu Wärmelieferverträgen (OGH 10 Ob 50/11t) – in OGH 9 Ob 46/21m deutlicher: Es könne Kund:innen unzulässigerweise überraschen, wenn eine Preisanpassungsklausel zwar thematisch richtig im Abschnitt „Preisänderungen“ zu finden sei, dort aber auf eine „Wertsicherung“ als gerechtfertigten Grund einer Preiserhöhung Bezug genommen wird, obwohl gar keine Wertsicherung im herkömmlichen Sinn – also eine Preisanpassung pro futuro – vereinbart ist, sondern diese Preisanpassungen auf Basis eines lange vor Vertragsabschluss liegenden Indexausgangswert ermöglicht. Dadurch werde dem Stromhändler das Recht eingeräumt, auch bereits kurz nach Vertragsabschluss beträchtliche Preiserhöhungen vorzunehmen. Eine Vordatierung der Wertsicherung auf einen Zeitpunkt vor Vertragsabschluss sei aber nicht per se ein Verstoß gegen § 864a ABGB, sondern es kommt darauf an, ob die Vordatierung hinsichtlich ihres zeitlichen Ausmaßes konkretisiert oder eingegrenzt wird oder nicht. Wenn die Klausel weder eine zeitliche noch eine betragliche Deckelung beinhaltet, müsse der Stromkunde typischerweise nicht einer solchen Klausel rechnen. Die Nachteiligkeit der Klausel sei auch dann nicht zu verneinen, wenn der Stromkunde einen gleich hohen Preis wie alle anderen Kund:innen in derselben Region bezahlt.

3. Keine Abhilfe durch den neuen § 80 Abs 2a ElWOG 2010

OGH 9 Ob 46/21m ist noch vor Inkrafttreten der Novelle des ElWOG 2010durch BGBl I Nr. 7/2022 ergangen, die ua in § 80 Abs 2a ElWOG 2010 ein (va im Konsumentenbereich) neues Preisänderungsrecht für Stromlieferanten eingeführt hat. Die Novelle, die sich im Übrigen nur auf Stromliefer- und nicht Gaslieferverträge bezieht, immunisiert aber nicht gegen das Überraschungsverbot des § 864 a ABGB, weil gemäß des neuen § 80 Abs 5 ElWOG 2010 auch nach der Novelle die Bestimmungen des ABGB (also auch § 864a ABGB) unberührt bleiben. Daher wird diese Judikatur auch hinkünftig zu beachten sein.

4. Viele wichtige offene Fragen!

OGH 9 Ob 46/21m ist aber sicher nicht der Schlusspunkt in der laufenden Auseinandersetzung über die Zulässigkeit von Preisänderungen bei Strom- und Gaslieferverträgen: Die Entscheidung sagt nichts darüber aus, ob Kund:innen auf diese Klausel bei Vertragsabschluss bzw. bei deren Einführung aufmerksam gemacht wurden. Sollte dies nämlich der Fall gewesen sein, wäre (zumindest) eine „unbedingte“ Unterlassungsverfügung im Zuge eines Verbandsklageverfahrens nach § 28 KSchG schwer möglich, auch wenn die Rechtsprechung auch hier Fragen offenlässt (siehe dazu nur OGH 4 Ob 164/12i RdW 2013/203). Außerdem schweigt auch OGH 9 Ob 46/21m (wie schon OGH 5 Ob 103/21i) dazu, ob die aktuellen und nach wie vor in Verwendung stehenden Indizes in Strom- und Gaslieferverträgen (VPI, ÖSPI oder ÖGPI) inhaltlich zulässig sind. Und natürlich bleibt ebenso das Verhältnis zur Novelle des ElWOG 2010 durch BGBl I Nr. 7/2022 ungeklärt.

Es bleibt daher auch in diesem Bereich des Energierechts weiterhin äußerst spannend!

Sollten Sie Fragen dazu und zu anderen energierechtlichen Themen haben, steht Ihnen das KWR Energy Team jederzeit zur Verfügung.

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