Der Ministerialentwurf zum „ElWG-Paket“:
Energiewende mit Mut zur Lücke
1. Begutachtung des ElWG-Pakets bis zum 23.2.2024
Am 12.1.2024 wurde das sogenannte „ElWG-Paket“, das
- ein Bundesgesetz zur Regelung der Elektrizitätswirtschaft (Elektrizitätswirtschaftsgesetz – ElWG),
- ein Bundesgesetz zur Definition des Begriffs der Energiearmut für die statistische Erfassung und für die Bestimmung von Zielgruppen für Unterstützungsmaßnahmen (Energiearmuts-Definitions-Gesetz – EnDG) und
- Änderungen des Energie-Control-Gesetzes
umfasst, als Ministerialentwurf in Begutachtung gegeben. Die Dokumentennummer im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) lautet:
BEGUT_98A64318_7EC0_4A83_9396_B69707E01C9D
Die Begutachtungsfrist läuft am 23.2.2024 ab. Danach soll – den Presseerklärungen der zuständigen BMK Gewessler zur Folge – rasch eine Regierungsvorlage beschlossen und das Paket dem Nationalrat zugeführt werden, um dort mit der notwendigen 2/3-Mehrheit noch rasch in dieser Legislaturperiode beschlossen werden zu können.
Interessanterweise wurde gleichzeitig mit Beginn der Begutachtung eine Arbeitsgruppe mit Vertreter:innen aus Ministerien, Sozialpartner:innen und der Energiebranche eingerichtet, die ein neues Modell der zuletzt massiv in Diskussion geratenen Grundversorgung (vgl dazu nur den Prüfbeschluss des VfGH vom 13.10.2023, G 122/2023-19) unter besonderer Berücksichtigung einkommensschwacher Haushalte (Sozialtarif) erarbeiten soll. Dort sollen dem Vernehmen nach auch „Weiterentwicklungen“ bei den Vorgaben für die (ebenfalls derzeit höchst umstrittene) Änderung von Preisen durch Stromlieferanten diskutiert werden.
Man sieht schon daran, dass der Entwurf noch massiv ergänzt werden wird (müssen) und dass hier in wichtigen Dingen definitiv noch nicht das letzte Wort gesprochen wurde. Dies gilt auch für den Umstand, dass durch das ElWG eine bundeseinheitliche Regelung des Elektrizitätsmarkts geschaffen werden soll (ohne die gemäß Art 12 Abs 1 Z 2 B-VG gebotenen 9 Landesausführungsgesetze), was aber schon ein erster Blick in den Entwurf hinterfragen lässt. Dort sind noch diverse Bestimmungen (etwa die §§ 29, 58, 67 Abs 1, 68, 93 und 151 ua ElWG – vgl § 1 ElWG) als Bundesgrundsatzbestimmungen ausgestaltet, obwohl in den Materialien im Hinblick auf § 1 ElWG auch dezidiert festgehalten wird, dass eine im Verfassungsrang stehende Kompetenzdeckungsklausel statuiert werden soll, um die Regelungen als unmittelbar anwendbares Bundesrecht zu erlassen. Warum genau die in § 1 ElWG genannten Bestimmungen dann doch nicht als unmittelbar anwendbares Bundesrecht erlassen können werden sollen, erschließt sich systematisch zumindest auf einen ersten Blick nicht.
Dennoch wollen wir bereits jetzt einen kurzen, stichwortartigen Überblick über die Inhalte des ElWG-Pakets geben:
2. Inhalte des ElWG-Pakets
a) Inhalte des ElWG
- Themenbereich Regelblock/Regelzone und Bilanzgruppen:
- Festlegung von Regelzone, Regelblock und Regelzonenführer in Durchführung der Verordnung (EU) 2017/1485 (System Operation Guideline – SO GL)
- Konsolidierung der Aufgaben des Bilanzgruppenkoordinators mit jenen des Regelzonenführers mit Möglichkeit der teilweisen oder vollständigen Übertragung der Aufgaben an einen Dritten in Durchführung von Art 13 der Verordnung (EU) 2017/2195 (Electricity Balancing Guideline – GLEB)
- Themenbereich Rechte von Endkundinnen und Endkunden:
- Umfassende Informations- und Mitteilungspflichten
- Recht auf Lieferverträge mit dynamischen Energiepreisen (Umsetzung von Art 11 der Richtlinie (EU) 2019/944)
- Recht auf einen Aggregierungsvertrag (Umsetzung von Art 12 der Richtlinie (EU) 2019/944)
- Recht auf Nutzung eines Vorauszahlungszählers
- Recht auf gutes Kundenservice und ordentliches Beschwerdemanagement (Umsetzung von Art 10 Abs 9 der Richtlinie (EU) 2019/944)
- Vergleichsinstrumente für die Lieferung und Abnahme von Strom („Tarifkalkulator“) (Umsetzung von Art 15 der Richtlinie (EU) 2019/944)
- Themenbereich Intelligente Messgeräte („Smart Meter“):
- Recht auf (vorzeitige) Ausstattung mit einem intelligenten Messgerät
- Verkürzung der Installations- und Aktivierungsfrist
- Viertelstundenauslesung als Standardeinstellung mit grundsätzlicher Möglichkeit des Opt-Outs für Speicherung und Übertragung von Viertelstundenwerten, Monats- und Tageswerten
- Themenbereich Dezentrale Versorgung:
- Eigenversorgung: Erzeugung, Verbrauch, Speicherung und Verkauf von Energie aus erneuerbaren Quellen sowie Teilnahme an Flexibilitätsdienstleistungen (gemeinsame Umsetzung von Art 15 der Richtlinie (EU) 2019/944 und Art. 21 der Richtlinie (EU) 2018/2001)
- Laststeuerung durch Aggregierung
- Erweiterung des Anwendungsbereiches von Direktleitungen
- Themenbereich Bürgerenergie/Gemeinschaftliche Versorgung:
- Peer-to-Peer Verträge: Verträge zwischen Eigenversorger und Endkundinnen oder Endkunden über den Verkauf von eigenerzeugtem Strom aus erneuerbaren Quellen
- Ergänzung von gemeinschaftlichen Erzeugungsanlagen um die Möglichkeit der Speicherung von Energie
- Möglichkeit des Betriebs mehrerer lokaler oder regionaler Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften durch eine Trägergesellschaft bzw. einen Trägerverein
- Vollständige Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/944 betreffend Energiespeicherung
- Themenbereich Netzbetrieb:
- Systematische Trennung von Netzanschluss und -zugang
- Umsetzung neuer Aufgaben der Verteilernetzbetreiber
- Konsolidierung der Pflichtenkataloge der Netzbetreiber
- Themenbereich Systemnutzungsentgelte:
- Festlegung von Grundsätzen und Aufwertung der Rolle der Regulierungsbehörde in Umsetzung der Rechtsprechung des EuGH
- Zusammenführung des Netzzutrittsentgelts und des Netzbereitstellungsentgelts als Netzanschlussentgelt
- Aufgehen des bisherigen Systemdienstleistungsentgelts im Regelleistungsentgelt und Ersatz der Clearinggebühr durch Bilanzgruppenkoordinationsentgelt
- Themenbereich Sicherheit und Zuverlässigkeit der Versorgung:
- Marktgestützte Beschaffung von Flexibilitätsleistungen im Verteilernetz (Umsetzung von Art 32 Abs 1 und 2 der RL (EU) 2019/944)
- Beschaffung nicht frequenzgebundener Systemdienstleistungen (Umsetzung von Art 31 Abs 7 und Art. 40 Abs. 5 und 6 der RL (EU) 2019/944)
- Anpassung der Beschaffung von Regelreserve an die Verordnung (EU) 2017/2195
- Themenbereich REMIT:
- Nachschärfungen bei Verfolgung, Verjährung und Zuständigkeit in Angelegenheiten betreffend die Verordnung (EU) 1227/2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarktes (REMIT)
b) Inhalte des Energiearmuts-Definitions-Gesetzes
- Verankerung einer Definition von Energiearmut für die statistische Erfassung
- Festlegung von Indikatoren, die für die statistische Erfassung und Messung von Energiearmut heranzuziehen sind
- Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrens zur Unterstützungswürdigkeit
- Austausch und Vernetzung relevanter Akteure zur Energiearmutsbekämpfung
c) Inhalte der Änderungen des Energie-Control-Gesetzes
- Anpassung von Organzuständigkeiten, Verweisen und Terminologie an das ElWG
- Klarstellung, dass auch die Regulierungsbehörde zur Amtshilfe verpflichtet ist
- Detaillierung der Verfahrensregeln durch Verpflichtung
- zur Erlassung von Bescheiden unter Auflagen, Bedingungen oder Befristungen, sofern für die Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben erforderlich sind und
- zur Durchführung von öffentlichen Begutachtungsverfahren vor Erlassung von VO
3. Vorläufige Bewertung
Der Entwurf enthält viel und bereits (sehr) lange Diskutiertes zum Thema Netzanschluss und Netznutzung, was den schnelleren Ausbau von erneuerbarer Energie (va im Bereich Photovoltaik) ermöglichen könnte. Allerdings schaffen Gesetze freilich nicht per se auch faktisch neue Netzkapazitäten!
Die Forcierung der dezentralen Energieversorgung und die Heranführung von Verbraucher:innen in ihre neue Rolle als Prosumer:innern enthält zwar das eine oder andere neue „Recht“ (zB auf den Abschuss von Aggregierungsverträgen), (Verwaltungs-)Erleichterungen für die Praxis (zB bei den Energiegemeinschaften) oder auch gewünschte Klarstellungen (zB bei Direktleitungen), bei weitem nicht alle praktische Hürden bei der Umsetzung konnten hier aber bisher ausgeräumt werden und prima vista fehlen auch wichtige Klarstellungen. So werden etwa Peer-to-Peer-Verträge zwar nun explizit „zugelassen“ (bislang waren Stromlieferverträge unter Privaten auch nicht verboten!), in der Definition dieser Verträge in § 6 Abs 1 Z 102 ElWG wird aber wenig hilfreich am Ende folgendes festgehalten: „Die Rechte und Pflichten der als Endkundinnen und Endkunden, Erzeuger, Lieferanten oder Aggregatoren beteiligten Parteien bleiben vom Recht auf Peer-to-Peer-Verträge unberührt.“ Der bisherige „Supergau“ regulatorischer Verwirrung bleibt also aufrecht. Gut gemeint ist eben oft das Gegenteil von gut!
Auch, dass die zuletzt besonders wichtigen und zentralen Themen der Grundversorgung und der Preisgestaltung/-änderung nun überhaupt erst in einem neuen „Arbeitskreis“ diskutiert werden sollen, stimmt in einem Wahljahr nicht besonders hoffnungsfroh. Hier muss nun also binnen kürzester Zeit und im Lichte der bestehenden Judikatur sowie der noch anhängigen Rechtsstreitigkeiten noch eine für Unternehmen und Verbraucher:innen gleichermaßen gangbare und rechtssichere Lösung gefunden werden.
Wir bleiben aber jedenfalls am Ball und werden weiter berichten. Sollten Sie zu diesen Themen oder auch zu anderen Themen im Bereich Energie, Transformation, Klimaschutz und Nachhaltigkeit Fragen oder sonstige Anliegen haben, steht Ihnen das Energy Team von KWR jederzeit gerne zur Verfügung.