LVwG Erkenntnis vom 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1
Das LVwG Vorarlberg hat in einer aktuellen Entscheidung die Ausschreibung in einem Vergabeverfahren betreffend Dienstleistungen im Gesundheitsbereich für nichtig erklärt. Begründet wurde dies ua dadurch, dass die Ausschreibungsunterlagen gleich mehrere Vorgaben enthielten, welche dem BVergG 2018 widersprachen und daher unzulässig waren.
Ausschreibungsgegenstand war der Abschluss einer Rahmenvereinbarung betreffend die Erbringung von Dienstleistungen im Gesundheitsbereich. Die Antragstellerin rügte in ihrem Nachprüfungsantrag ua das Erfordernis, Mindeststammpersonal in einem regulären Dienstverhältnis anstellen zu müssen sowie das Erfordernis einer rund um die Uhr (0 bis 24 Uhr) erreichbaren Ansprechperson. Vor diesem Hintergrund hat das LVwG Vorarlberg Folgendes entschieden:
- In den Ausschreibungsunterlagen wurde ua festgelegt, „dass der Bieter mittels eines Formblatts zu erklären hat, über welche (namentlich zu nennenden) Mitarbeiter er, im Auftragsfall für die Ausführung des Auftrages‘ als Mindeststammpersonal ,konkret verfügt‘. Als solche können keine freien Dienstnehmer und keine mittels Werkvertrag tätigen Personen nominiert werden, sondern nur ,fix angestellte‘ Dienstnehmer. Insgesamt sind (in verschiedenen Funktionen) 104 Personen zu nominieren“.[1]
Der Auftraggeber begründete diese Vorgabe ua damit, „dass der Bieter nur mit einem regulären Dienstverhältnis sicherstellen könne, dass das Personal auch während der Vertragsdauer zur Leistungserbringung zur Verfügung stehe. Bei freien Dienstnehmern oder Personen, die aufgrund eines Werkvertrags beschäftigt seien, hätte der Auftragnehmer keine arbeitsrechtlichen Möglichkeiten, die jeweils für die Leistungserbringung erforderlichen Anweisungen gegenüber dem Personal zu erteilen; dies betreffe insbesondere den Dienstort, die Dienstzeiten, die Arbeitsbedingungen, die Betriebsmittel etc. Um den Erfordernissen der Pandemie gerecht zu werden, sei ein flexibler Einsatz des Personals erforderlich.“[2]
- Das LVwG Vorarlberg hielt fest, dass diese Bestimmung der Ausschreibungsunterlagen unsachlich und unverhältnismäßig erscheint und daher unzulässig ist. Begründet wurde dies ua damit, dass sich ein Unternehmer zum Nachweis der erforderlichen Leistungsfähigkeit oder Befugnis für einen bestimmten Auftrag auf die Kapazitäten anderer Unternehmer stützen kann, und zwar ungeachtet des rechtlichen Charakters der zwischen ihm und diesen Unternehmern bestehenden Verbindungen. Das LVwG Vorarlberg nahm in diesem Zusammenhang Bezug auf eine Entscheidung des EuGH aus dem Jahr 1999, bei welcher ua entschieden wurde, dass ein „Vertragspartner des öffentlichen Auftraggebers, um als Unternehmer und damit als Wirtschaftsteilnehmer eingestuft zu werden, […] nicht in der Lage […] sein (muss), die Leistung unmittelbar mit eigenen Mitteln zu erbringen; es genügt, dass er die Ausführung der fraglichen Leistung veranlassen kann und hierfür die erforderlichen Garantien bietet.“[3] Weiters führte das LVwG Vorarlberg aus, dass eine Einschränkung der grundsätzlichen Möglichkeit, sich in seinem Angebot auf die Kapazitäten mehrerer Wirtschaftsteilnehmer zu stützen, nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände – welche hier nicht vorliegen – und ausnahmsweise erfolgen darf. Dies wäre beispielsweise dann anzunehmen, wenn es sich um einen unteilbaren Auftrag handelt.[4]
Darüber hinaus urteilte das LVwG Vorarlberg, dass die Bestimmung im Widerspruch zu § 20 Abs 1 BVergG 2018 steht. Zwar ist es Sache des Auftraggebers, die Mindestanforderungen betreffend die ausgeschriebene Leistung festzulegen. Doch ist dabei im Hinblick auf die Gleichbehandlung der Bieter zu beachten, „dass die vom öffentlichen Auftraggeber ausgeschriebenen Leistungen eindeutig, vollständig und neutral beschrieben sind bzw nicht so umschrieben sind, dass bestimmte Bieter von vornherein Wettbewerbsvorteile genießen.“ Daraus folgt, dass gegenständliche Bestimmung jedenfalls den Kreis der potentiell in Betracht kommenden Unternehmer (Bieter) einschränkt. Dies schon allein aus dem Grund, dass jene Unternehmen, welche über das geforderte Personal (in einem regulären Dienstverhältnis) verfügen und binnen der Leistungsfrist für die Erbringung der Dienstleistung zur Verfügung stehen, bevorzugt werden. Eine Ungleichbehandlung der Bieter zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe ist daher aus Sicht des LVwG Vorarlberg gegeben. Die Begründung des Auftraggebers, wonach diese Vorgabe zur Sicherstellung der technischen Leistungsfähigkeit erforderlich sei, war daher nicht weiter zu berücksichtigen.
Auch wurde festgehalten, dass die Ausschreibungsunterlagen den Einsatz von Subunternehmern zulassen, „obwohl in einer solchen Konstellation zwischen dem Auftraggeber und den Arbeitnehmern des Subunternehmers ebenfalls keine arbeitsvertragliche Beziehung und damit auch keine Möglichkeit zur direkten Einflussnahme auf die Leistungserbringung durch diese Personen im Sinne des Vorbringens des Auftraggebers besteht.“ [5] Warum der Nachweis des geforderten Mindestpersonals hingegen nicht (ua) durch Subunternehmer erbracht werden kann, ist nicht nachvollziehbar.
- Eine weitere Festlegung in den Ausschreibungsunterlagen (konkret im Leistungsvertrag) wurde durch das LVwG Vorarlberg im Ausgangsfall ebenfalls als rechtswidrig eingestuft: „Der Auftragnehmer hat unmittelbar nach Vertragsabschluss dem Auftraggeber eine Ansprechperson mit Angabe von aktiven Kontaktdaten (Handy und E-Mail) schriftlich bekannt zu geben. […] Für den Auftraggeber ist diese verantwortliche Person in allen Belangen der Vertragserfüllung die zentrale Ansprechperson und zwar rund um die Uhr.“ (Herv.d.Verf.)
Der Auftraggeber begründete obige Festlegung damit, dass es aufgrund der dynamischen Pandemiesituation erforderlich sein könnte, auf aktuelle Entwicklungen zu reagieren. Dies würde in weiterer Folge auch eine Kontaktaufnahme außerhalb der vertraglich geregelten Öffnungszeiten rechtfertigen.[6]
- Zu diesem Erfordernis der „Rund um die Uhr“ erreichbaren Ansprechperson entschied das LVwG Vorarlberg jedoch, dass ein sachlicher Grund hierfür nicht erkennbar war. Dies schon alleine aufgrund der Tatsache, dass die betroffenen Standorte selbst zwischen 20:00 und 06:00 Uhr außer Betrieb sind und daher mangels verfügbarem Personal auch keine Dispositionen getroffen werden können; zumal der Auftraggeber auch nur die Erreichbarkeit und nicht die Verfügbarkeit der Ansprechperson gefordert habe. Hinzu kommt, dass der zukünftige Auftragnehmer das betroffene Personal nur während der Öffnungszeiten bereit zu stellen hat. Auch ist wesentlich, dass teilweise ohnehin eine zweitätige Leistungsfrist besteht. Das Erfordernis einer „Rund um die Uhr“ erreichbaren Person ist daher sachlich nicht gerechtfertigt und zur Vertragserfüllung nicht unbedingt erforderlich.
Kommentierung
Das Erkenntnis des LVwG Vorarlberg zeigt erneut, wie bedeutsam die immanente Einhaltung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung bei der Durchführung von Vergabeverfahren. Zwar ermöglicht die aktuelle pandemische Situation grundsätzlich die Anwendung bestimmter Sonderbestimmungen des BVergG 2018, um auf gegenwärtige Geschehnisse schneller reagieren zu können. Doch sind auch hierbei stets die fundamentalen Grundsätze des Vergaberechts zu beachten und einzuhalten.
Festzuhalten ist, dass das LVwG Vorarlberg die gegenständliche Ausschreibung für nichtig erklärt hat, da diese unzulässige und sachlich nicht gerechtfertigte Vorgaben enthielt. Ergänzend ist aber anzumerken, dass die betroffenen Regelungen nicht per se absolut unzulässig sind. Vielmehr fehlte es im Ausgangsfall einer sachlichen und gerechtfertigten Begründung:
- Betreffend das Erfordernis der Anstellung von Mindeststammpersonal in einem regulären Dienstverhältnis fehlte es an „außergewöhnlichen“ Umständen, die eine derartige Einschränkung im Ausgangsfall gerechtfertigt hätten. Anzumerken ist jedoch, dass eine derartige Vorgabe in Ausschreibungsunterlagen grundsätzlich zulässig sein kann. Dies jedoch nur in Zusammenschau mit dem jeweils betroffenen Leistungsgegenstand und der sich daraus ergebenden, sachlichen Notwendigkeit.
- Auch die Vorgabe, eine rund um die Uhr erreichbare Person namhaft zu machen, ist ohne sachlich gerechtfertigte Gründe nicht zulässig (insb dann, wenn sich die vermeintliche sachliche Begründung in den weiteren Festlegungen der Ausschreibung nicht widerspiegelt). Im Ausgangsfall konnte der Auftraggeber die geforderte „Erreichbarkeit rund um die Uhr“ nicht begründen. Ist daher vom Auftraggeber eine rund um die Uhr erreichbare Person erwünscht, bedarf dies konkreter Vorgaben und jedenfalls einer Begründung, die über reine Informationszwecke hinausgeht.
Das LVwG Vorarlberg schafft durch gegenständliches Erkenntnis daher ein weiteres Stück Klarheit und Rechtssicherheit betreffend die (Un-)Zulässigkeit bestimmter Vorgaben in der Ausschreibung. Auch wird wieder klar ersichtlich, dass bei der Erstellung der Ausschreibung darauf Bedacht zu nehmen ist, die Notwendigkeit potentiell einschränkender Vorgaben zu begründen und zu dokumentieren, da ansonsten die Gefahr einer Nichtigerklärung droht.
Bei Fragen steht Ihnen unser Vergaberechtsteam sehr gern zur Verfügung!
Katharina Trettnak-Hahnl und Mats Schröder
[1] LVwG Vorarlberg 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1, 6.4.1.
[2] LVwG Vorarlberg 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1, 6.4.2.
[3] EuGH vom 23.12.2009, Rs C‑305/08, CoNISMa, Rn 41.
[4] LVwG Vorarlberg 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1, 6.4.3.
[5] LVwG Vorarlberg 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1, 6.4.4.
[6] LVwG Vorarlberg 20.4.2021, GZ LVwG-314-2/2021-S1, 6.5.