Problemaufriss
Wenn ArbeitnehmerInnen ohne Aussicht auf Verbesserung lange und/oder häufig krank sind, stehen ArbeitgeberInnen oft vor der Frage, ob und wann eine Kündigung ausgesprochen werden darf. Der Oberste Gerichthof hat sich jüngst in gleich zwei Entscheidungen (OGH 8 ObA 87/22k und OGH 9 ObA 26/22x) damit beschäftigt, ob Kündigungen wegen langen und/oder häufigen Krankenständigen wegen Sozialwidrigkeit anfechtbar und damit mit Unwirksamkeit bedroht sind.
Häufige und/oder lang andauernde Krankenstände eines/r Arbeitnehmers/in können grundsätzlich als personenbezogener Kündigungsgrund herangezogen werden. Für die Beurteilung, ab welchem Ausmaß des Krankenstandes ein die Kündigung rechtfertigender personenbezogener Kündigungsgrund vorliegt, gibt es keine gesetzlichen Regelungen, vielmehr ist eine Einzelfallbeurteilung notwendig.
Die Krankenstände des/der Arbeitnehmers/in müssen nach Ansicht des OGH bei objektiver Betrachtung Umstände in der Person des/der Arbeitnehmers/in gelegene Gründe darstellen, die die betrieblichen Interessen nachteilig berühren und daher die Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Bei der Beurteilung muss auch berücksichtigt werden, wie sich die Anzahl der Krankenstände in Zukunft entwickeln wird.
Kurzeinblick in Entscheidung OGH 8 ObA 87/22k
In der Entscheidung vom 23. 2. 2023, OGH 8 ObA 87/22k, war der Kläger seit mehreren Monaten durchgehend in Krankenstand, dessen Ende offen war und von dem absehbar war, dass er noch lange dauern würde.
Der Oberste Gerichthof entschied in diesem Einzelfall, dass die Kündigung nicht sozialwidrig war, da lange Krankenstände wegen der mangelnden Einsetzbarkeit der Arbeitskraft und des auch vertretungsweise nicht mehr bewältigbaren Leistungsausfalls einen personenbezogenen Kündigungsgrund bilden können.
Kurzeinblick in Entscheidung OGH 9 ObA 26/22x
Auch in seiner Entscheidung vom 27. 4. 2022, OGH 9 ObA 26/22x, kam der Oberste Gerichtshof zum Ergebnis, dass die Kündigung nicht sozialwidrig ist. In diesem Fall lagen bei einer Arbeitnehmerin massive Krankenstände vor, die zu einer Unplanbarkeit der Schichten und zum Unmut der anderen Mitarbeiter zur Versetzung der Klägerin an einen "Schonarbeitsplatz" führten. Der weitere Einsatz der Arbeitnehmerin an ihrem vorherigen Arbeitsplatz wurde von der Betriebsärztin als ein zu großes Gesundheitsrisiko eingestuft, weshalb ein Einsatz der Arbeitnehmerin an ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz aus medizinischer Sicht nicht mehr in Frage kam. Die Arbeitnehmerin erklärte gegenüber dem Arbeitgeber später, dass es ihr bessergehe und sie wieder an ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz arbeiten möchte. Wäre der Arbeitgeber entgegen den Beurteilungen des Hausarztes der Arbeitnehmerin und der Betriebsärztin der Bitte der Arbeitnehmerin gefolgt und hätte er sie wieder an ihrem ursprünglichen Arbeitsplatz eingesetzt, hätte er sich im Fall einer Verschlechterung des Gesundheitszustands dem Vorwurf massiver Verletzungen ihrer Arbeitnehmerschutz- und Fürsorgepflichten ausgesetzt. Auch hat die Arbeitnehmerin keine medizinische Einschätzung des Hausarztes relativierende oder widerlegende Atteste oder sonstige Unterlagen vorgelegt, um die Besserung ihres Gesundheitszustandes zu beweisen. Auch im Verfahren hat die Klägerin den behandelnden Facharzt von seiner Verschwiegenheitspflicht nicht entbunden, wodurch er keine Aussagen zu ihrem Gesundheitszustand tätigen durfte. Der Oberste Gerichtshof sah die Kündigung auch in diesem Einzelfall als gerechtfertigt an.
Bedeutung der Entscheidungen für die Praxis
Trotz der beiden jüngsten Entscheidungen des OGH zu diesem spannenden Thema bleibt die Beurteilung, ob eine Kündigung wegen Krankenstands rechtlich zulässig ist, eine Einzelfallentscheidung. Es gibt bereits umfangreiche Judikatur zum Thema Kündigung wegen häufigen und/oder langen Krankenständen, die in jedem konkreten Anlassfall zu prüfen ist. Dabei spielen unter anderem Fragen nach der Anzahl und Häufigkeit der Krankenstände, eine Zukunftsprognose, unter Umständen Sonderregelungen des Behinderteneinstellungsgesetzes, das Entgeltfortzahlungsrecht und die allgemeinen Grundsätze von Fürsorgepflicht des Arbeitgebers/Treuepflicht der Mitarbeitenden eine Rolle.
Ihr KWR-Arbeitsrechtsteam steht Ihnen gerne zur Verfügung.